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Warum wollen Hamburg und Schleswig-Holstein die S4 nach Ahrensburg und Bad Oldesloe bauen? Was haben wir in Rahlstedt davon? Warum nützt das Projekt S4 auch dem Güter- und Fernverkehr zwischen Hamburg und Lübeck? Was bedeutet das für uns? Und wie wäre es, wenn wir einfach alles so lassen, wie es ist? Ich beantworte hier die wichtigsten Fragen zum Thema S4 und Güterverkehr:

1. Warum wollen Hamburg und Schleswig-Holstein die neue S-Bahn-Linie S4 nach Bad Oldesloe bauen? 

Es ist das vorrangige Ziel, die Nahverkehrsanbindung entlang der Strecke Hamburg – Bad Oldesloe und damit auch für Rahlstedt endlich deutlich zu verbessern. Allein für tausende Pendler wäre das ein Segen. Die heutige RB81 verkehrt nur alle ca. 30 Minuten, mit Abweichungen vom Taktfahrplan, mit wenigen Haltestellen und sie endet am Hauptbahnhof. In der Hauptverkehrszeit fahren normalerweise zusätzliche Züge, so dass es vier Fahrten pro Stunde gibt, aber nicht im festen Takt. (Diese Verstärkerzüge fallen zurzeit wegen Bauarbeiten am Berliner Tor alle bis auf zwei aus.) Die S4 soll diese Situation verbessern: Mit einer S-Bahn auf eigenen Gleisen bis Ahrensburg ist folgendes möglich: 10-Minuten-Takt bis Ahrensburg und 20 Minuten-Takt bis Bargteheide (derzeit vorgesehen in der Hauptverkehrszeit) sowie weiterhin 60-Minuten-Talt bis Bad Oldesloe, starrer Taktfahrplan, zusätzliche Haltestellen, die das Einzugsgebiet besser erschließen, durch 10- und 20-Minuten-Takt bessere Verknüpfung mit Bussen, umsteigefreie Verbindungen über den Hauptbahnhof hinaus.

Durch die S4 wird sich die Gesamtreisezeit in den allermeisten Fällen verkürzen und der Reiseweg bequemer werden. Zwar wird die S4 wegen der zusätzliche Haltestellen etwas länger unterwegs sein, als heute die RB81 (reine Fahrzeit z.B. Bf. Rahlstedt – Hauptbahnhof mit der S4 zukünftig 19 Minuten, mit der RB81 aktuell 16-18 Minuten). Betrachtet man aber den gesamten Reiseweg, so wird sich die Gesamtreisezeit in vielen Fällen im Vergleich zu heute verkürzen, und zwar durch bessere Anschlüsse zwischen Bussen und S4, mehr Umsteigemöglichkeiten (mit der S4 kann man z.B. auch in Berliner Tor schon in viele Linien umsteigen), durchgehende Verbindungen über den Hauptbahnhof hinaus (kein zwangsläufiger Umstieg im Hauptbahnhof mehr, sondern direkte Fahrten z.B. bis Jungfernstieg und Altona) und mehr Fahrten durch dichteren Takt (wenn man mal einen Zug verpasst, muss man nicht mehr 30 Minuten warten, wie heute).

2. Ist das Projekt S4 mehr als nur ein reines Nahverkehrsprojekt?

Ja. Durch den Ersatz der heutigen RB81-Fahrten durch die S4 kann die Kapazität des Hauptbahnhofs besser ausgenutzt werden, weil auf den Gleisen 5-8 Platz frei wird für andere Verbindungen, während auf den S-Bahn-Gleisen 1-4 noch Platz ist für zwei weitere Linien, davon soll eine die S4 sein. Die Kapazität des Hauptbahnhofs kann mit der S4 zudem gesteigert werden, weil erst mit der S4 an Gleis 9 ein zusätzlicher Bahnsteig (auf dem Planum von Gleis 10) gebaut werden kann. Auf Gleis 10 kann erst mit einer deutlichen Reduzierung der Rangierfahrten durch Wegfall der RB81 verzichtet werden. Durch den Wegfall der RB81-Züge auf der Strecke zwischen Hauptbahnhof und Ahrensburg-Gartenholz (hier soll es parallel eigene S-Bahn-Gleise geben, hinter Gartenholz soll die S4 wie heute die RB81 auf den Bestandsgleisen fahren) werden auch Kapazitäten frei, die dann dem auf der Bestandsstrecke verbleibenden Zügen des schnellen Regionalverkehrs, des Fernverkehrs und des Güterverkehrs zugute kommen.

Die Europäische Union hat die Strecke Hamburg-Lübeck als Bestandteil des Skandinavien-Mittelmeer-Korridors in die Transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-V) aufgenommen und fördert die Planungskosten für das Projekt S4. Damit erkennt sie an, dass das Projekt S4 mehr als ein reines Nahverkehrsprojekt ist.

3. Wird nicht in Wirklichkeit eine neue Güterzugstrecke gebaut?

Nein. Es wird keine Güterzugstrecke neu gebaut, sondern die gibt es schon längst, seit 1865. Diese Bestandsstrecke wird heute von Nahverkehrs-, Fernverkehrs- und Güterzügen im Mischbetrieb befahren – und dabei bleibt es auch. Was es noch nicht gibt, ist eine neue zusätzliche zweigleisige Strecke exklusiv für die S-Bahn. Etwas anders ist es mit den Gleisen als solchen: Ziel ist es, den Grundstücksverbrauch beim Ausbau der Strecke so gering wie möglich zu gestalten. Mancherorts ist es deshalb notwendig, die Gleise für die Bestandsstrecke neu zu bauen und die S-Bahn auf den schon vorhandenen Gleisen fahren zu lassen. Das ist von Ort zu Ort unterschiedlich und orientiert sich an den Erfordernissen vor Ort. Am Ende wird die S-Bahn aber immer auf der Nordwestseite der Strecke verkehren. Die Bestandsstrecke Hamburg – Lübeck wird nach dem Bau der parallel verlaufenden S-Bahn-Strecke bis Ahrensburg denselben Ausbauzustand haben, wie heute.

4. Es ist immer nur von der S4 die Rede. Verschweigt die Politik den Nutzen der S4 für den den schnellen Personen- und den Güterverkehr?

Nein. In allen offiziellen Veröffentlichungen ist immer auch vom Güterverkehr die Rede. Beispiele:

Drucksache 21/2174 vom 10.11.2015 (Senatsantrag, Auszüge):

„Zusätzlich wird der Fern- und Güterverkehr von der geplanten separaten S-Bahn-Infrastruktur und dem Ersatz aller Regionalbahn-Leistungen durch die S-Bahn profitieren, da mit der Herstellung der festen Fehmarn-Belt-Querung neue Güter- und Fernverkehre auf der ohnehin schon stark ausgelasteten Strecke zu erwarten sind. Auf den Bestandsgleisen werden durch den Ausbau des S-Bahn-Angebots zuverlässige Kapazitäten für diese Verkehre frei.“

„Gleichzeitig ist die S4 eine der wichtigsten Möglichkeiten zur Entlastung des Hamburger Hauptbahnhofs: Auf der einen Seite werden die frei werdenden Bahnsteige der jetzigen Regionalbahn für die Durchbindung anderer Verkehre zum Hauptbahnhof nutzbar. Auf der anderen Seite ermöglicht die Verschiebung der Verkehre auf die S-Bahn im Hauptbahnhof vereinfachte Umstiege zu anderen S-Bahnen. Das entlastet auch Bahnsteige, Treppenanlagen und andere Wege im Hauptbahnhof.“

„Die Maßnahme ist zum Bundesverkehrswegeplan 2015 angemeldet. Das Projekt umfasst sowohl Nah- und Fern-, als auch Güterverkehr. Güter- und Fernverkehrsanteil sind grundsätzlich vom Bund zu finanzieren. Den Anteil an den Nahverkehrsinvestitionen müssen die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein leisten. Zur Vorbereitung der anstehenden Finanzierungsverhandlungen mit dem Bund wurde mit dem BMVI ein entsprechendes, mehrstufiges Kosten-Nutzen-Ermittlungsverfahren verabredet.“ 

Drs. 20/10332 vom 17.12.2013 (Senatsantrag, Auszüge):

„Derzeit wird die Strecke (pro Tag und Richtung) von 60 bis 90 Zügen des Nahverkehrs (je nach Streckenabschnitt), 8 Zügen des Fernverkehrs und 18 Zügen des Güterverkehrs ausgelastet. Die projektierte feste Fehmarn-Belt-Querung (vorrangiges Projekt TEN-V-Achse 20) wird eine wesentliche Steigerung der Auslastung dieser Bahnstrecke zur Folge haben, vor allem durch den zunehmenden SGV zwischen Skandinavien und dem Verkehrsknoten Hamburg. Angenommen wird eine Zunahme des Fern- und Güterverkehrs um ca. 50 Züge pro Tag und Richtung. Die feste Fehmarn-Belt-Querung wird damit u.a. den Großteil des Güterverkehrsaufkommens auf der Schiene zwischen Mitteleuropa und Skandinavien aufnehmen. Die bisherigen Verkehrsströme über den sogenannten Jütland-Korridor werden sich auf die Fehmarn-Belt-Achse verlagern.“

„Die DB Netz AG wie auch die Länder Schleswig- Holstein und Hamburg sehen als Lösung die Kapazitätserhöhung in Form einer weitgehenden Entflechtung des Güter- und Personenverkehrs. Dazu ist die vorhandene Trasse um zwei Gleise bzw. ein Gleis auszubauen. Dies würde die Fernbahnstrecke von einem Großteil der Nahverkehrszüge entlasten und ist somit Voraussetzung für eine Ausweitung des internationalen Personenfern- und Güterverkehrs auf der Achse Hamburg – Kopenhagen.

Diese unter dem Arbeitstitel S4 geführte Maßnahme ermöglicht die Verlagerung eines Großteils des Personenverkers auf der Strecke Hamburg – Lübeck. Im Hamburger Hauptbahnhof werden die Ferngleise 5–14 durch Verlagerung dieser Verkehre auf die vom Hamburger S-Bahnverkehr genutzten Gleise 1–4 dauerhaft entlastet. Zugleich können nur durch diese Maßnahme dem Schienengüterverkehr zwischen Hamburg-Maschen und Lübeck die notwendigen zusätzlichen Trassen zur Verfügung gestellt werden.“ 

„Für das Projekt ist danach von Gesamtkosten in Höhe von ca. 630 Millionen Euro auszugehen. Diese voraussichtlichen Kosten sind nicht nur direkt durch die S-Bahn induziert, sondern auch dem Fern- und Güterverkehr ist ein relevanter Teil der Kosten zuzurechnen.“

5. Wie viele Güterzüge werden zukünftig für die Strecke Lübeck-Hamburg prognostiziert?

Der Hamburger Senat (Drucksache 20/10332 vom 17.12.2013) erwähnte auf der Grundlage der bisherigen Prognosen 50 zusätzliche Güterzüge pro Tag (24 Stunden) und Richtung, zusätzlich zu den aktuell verkehrenden 18 Güterzügen pro Tag und Richtung. Die Prognosen stammen vom Bund und werden für den neuen Bundesverkehrswegeplan aktuell überprüft. Ob sie zutreffen, werden wir erst wissen, wenn es soweit ist. Es gibt auch Stimmen, die diese Zahlen als zu hoch in Frage stellen.

Bei den prognostizierten Güterzügen handelt es sich zum Teil um Güterzüge, die auch heute schon fahren, nur eben nicht durch Rahlstedt. Der Schienengüterverkehr aus und in Richtung Skandinavien wurde früher über die Vogelfluglinie abgewickelt. Zwischen Puttgarden und Rødbyhavn wurden die Güterzüge umständlich mit Fähren befördert. Seit der Eröffnung der Brücke über den Großen Belt 1997 wird der Schienengüterverkehr über die 160 km längere Jütlandlinie über Flensburg geleitet. Die Züge fahren seitdem, was Hamburg angeht, nicht mehr durch Rahlstedt und Wandsbek, sondern durch Lokstedt und Barmbek (Güterumgehungsbahn). Mit der Eröffnung des von Dänemark geplanten Fehmarnbelttunnels (nach derzeitigem Stand im Jahre 2028) wird dieser Verkehr auf die kürzere Vogelfluglinie zurückkommen. Für die Zukunft wird aber bundesweit auch insgesamt deutlich mehr Güterverkehr prognostiziert und es ist zu hoffen, dass ein Großteil dieses Zuwachses auf der umweltfreundlichen Schiene statt auf der Straße transportiert wird. Insofern sind auch effektiv zusätzliche Güterzüge zu erwarten – bundesweit genauso wie auf der Strecke Hamburg-Lübeck.

6. Fahren durch Rahlstedt dann zukünftig Schnellgüterzüge?

Nein. Es gibt in Deutschland praktisch keinen Schnellgütertransport auf der Schiene. Auszug aus dem Wikipedia-Artikel „Güterzug“:

„Güterzüge fahren in der Regel etwa 90–120 km/h und somit im unteren Geschwindigkeitsbereich. (…) Mit der dritten EBO-Änderungsverordnung wurde die zulässige Geschwindigkeit für Güterzüge in Deutschland von 100 auf 120 km/h heraufgesetzt. Größere Geschwindigkeiten erfordern eine Ausnahmezulassung des Bundesverkehrsministeriums.“

Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der Strecke Hamburg-Lübeck beträgt derzeit 160 km/h. Dabei soll es bleiben. Für Güterzüge gilt die Beschränkung der EBO (Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung), also max. 120 km/h.

7. Wie lang werden die Güterzüge zukünftig sein?

Die maximale Länge der Züge wird durch die Infrastruktur bestimmt, sie hängt also davon ab, wie lang Überholgleise und Blockabstände sind. Derzeit beträgt die maximale Regelzuglänge 740 Meter, zukünftig soll sie 835 Meter betragen. Bei geringerem Frachtaufkommen oder weil die Güterzüge auf einer längeren Distanz laufen, deren Infrastruktur (noch) nicht durchgängig 835 Meter lange Güterzüge zulässt, kann die Zuglänge auch nur 740 Meter (derzeit maximale Regelzuglänge) betragen oder weniger. In jedem Fall reden wir hier also über maximal 740 Meter oder 835 Meter lange Güterzüge, aber nicht über 2000 Meter lange Güterzüge, wie man sie zum Beispiel aus den USA kennt. Außerdem darf man auch hier nicht Ursache und Wirkung verwechseln: Längere Züge führen nicht per se zu einem höheren Frachtaufkommen. Bei gleichbleibendem Frachtaufkommen bedeuten längere Züge weniger Züge.

8. Gibt es realistische Alternativen zur Führung der Güterzüge durch Rahlstedt?

Ja und nein. Wenn die Strecke Lübeck – Bad Kleinen elektrifiziert und ausgebaut wird (einschließlich Bau einer Kurve bei Bad Kleinen), was ebenfalls geplant wird, kann ein Teil der Güterzüge Hamburg weiträumig umfahren. Dies ist vor allem interessant für Güterzüge in der Relation Skandinavien/Lübeck – Ost- und Süddeutschland. Mehr dazu von mir hier: https://www.buschhueter.de/hat-bad-kleinen-mit-rahlstedt-zu-tun/

Für Güterzüge mit Ziel oder Quelle Hamburg (einschließlich Rangierbahnhof Maschen) ist die Strecke über Bad Kleinen allerdings keine Alternative, weil sie einen erheblichen Umweg bedeutet. Die Entfernung von Maschen nach Lübeck über Wandsbek beträgt rund 80 km. Würden die Züge stattdessen über Bad Kleinen geleitet, beträgt die Entfernung rund 210 km. Güterzüge mit Ziel oder Quelle in Hamburg über Bad Kleinen umzuleiten, wäre falsch, denn der Umweg wäre nicht nur unwirtschaftlich, sondern bedeutet unterm Strich ja auch mehr Verkehr und damit mehr Emissionen.

Die alternative Routenführung heißt auch: Güterzüge werden dort dann u.a. durch Lübeck, Grevesmühlen, Schwerin und Ludwiglust fahren. Dort wohnen auch überall Menschen und am Schweriner See ist es auch sehr schön. Man kann sich vorstellen, dass die Leute dort nicht begeistert sein werden, wenn wir hier sagen, bei uns nicht, schickt alle Güterzüge nach Mecklenburg! Insofern wird es auf eine Aufteilung des prognostizierten Güterverkehrs hinauslaufen: Güterzüge aus und in Richtung Norden mit Ziel oder Quelle Hamburg werden auch zukünftig über die Strecke Hamburg-Lübeck fahren müssen. Für Güterzüge mit Ziel oder Quelle Ost- und Süddeutschland bietet die Streckenführung über Schwerin eine gute Alternative.

9. Wie sieht es mit Gefahrguttransporten auf der Schiene aus?

Eine entwickelte Industriegesellschaft ist auf Gefahrguttransporte angewiesen. Laut Eisenbahn-Bundesamt sind etwa 17 % der auf der Schiene beförderten Güter Gefahrgut. Der Gefahrguttransport auf der Schiene ist statistisch gesehen 40mal sicherer ist als auf der Straße. Mehr dazu: https://www.allianz-pro-schiene.de/presse/pressemitteilungen/2010-054-gefahrgut-unfaelle-deutschland/

10. Kann man die Strecke nicht einfach in einen Tunnel zwischen Ahrensburg und Hamburg legen?

Denkbar ist alles. Und es wurde auch schon einmal gedacht: Im Zusammenhang mit dem immer noch laufenden Projekt „Aufhebung der beschrankten Bahnübergänge an der Bundesbahnstrecke Hamburg-Lübeck im Bezirk Wandsbek“ (Drucksache 13/5583 vom 20.02.1990) wurde Ende der 1980er Jahre auch die Variante Eisenbahntunnel untersucht und bewertet. Positiv bewertet wurden der städtebauliche Gewinn und die Verbesserung der Lärmsituation einer Tunnellösung. Negativ bewertet wurden die höchsten Investitions- und jährlichen Folgekosten, außerdem die schwerwiegendsten Eingriffe in die Natur, insbesondere in die Grundwasserverhältnisse, die lange Bauzeit und die vergleichsweise hohen Belästigungen der Bevölkerung während der Bauzeit (im Vergleich zu anderen Lösungsvarianten zur Aufhebung der Bahnübergänge). Im Ergebnis hat man sich damals für Einzellösungen an jedem einzelnen Bahnübergang entschieden, bis heute sind nicht alle Maßnahmen umgesetzt, gebaut wird aktuell an den Bahnübergängen Hammer Straße. Für finanzierbar halte ich eine vollständige Tunnellösung auch heute nicht. Da jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, müssten andere wichtige (Schienen-)Projekte zurückgestellt werden.

11. Wie sieht es mit dem Lärm- und Erschütterungsschutz aus?

Lärmschutz ist gesetzlich vorgeschrieben und nicht zum Nachteil der Anlieger verhandelbar. Aber nur ein Ausbau der Strecke löst erst diesen gesetzlichen Anspruch aus (Lärmvorsorge). Das Lärmschutzniveau wird nach dem Ausbau der Strecke deutlich höher sein, als mit den derzeitigen Lärmschutzwänden (Lärmsanierung). Einerseits, weil die Grenzwerte bei der Lärmvorsorge strenger sind als bei der vor einigen Jahren erfolgten Lärmsanierung, andererseits, weil das Privileg „Schienenbonus“ zwischenzeitlich weggefallen ist.

Außerdem werden große Anstrengungen unternommen, um Schienenverkehrslärm bereits an der Quelle zu bekämpfen. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und die Deutsche Bahn streben gemeinsam an, alle Bestandsgüterwagen bis 2020 auf leise Bremsen umzurüsten. Um dieses Ziel zu befördern, gewährt zum einen ein Förderprogramm des Bundes seit dem 9. Dezember 2012 Wagenhaltern, die ihre Güterwagen auf leise Bremstechnologien umrüsten, eine finanzielle Unterstützung. Zum anderen hat die DB Netz AG seit dem 1. Juni 2013 ein lärmabhängiges Tassenpreissystem (LaTPS) eingeführt: Laute Züge müssen für die Benutzung eines Schienenwegs seitdem einen Zuschlag bezahlen, der kontinuierlich angehoben wird. Als zusätzlichen Anreiz zum Umbau von Bestandsgüterwagen auf lärmarme Bremstechnologien sieht das LaTPS einen laufleistungsabhängigen Bonus für den Umbau vor.

Beim Projekt S4 wird natürlich auch an den Erschütterungsschutz gedacht. Im Rahmen der laufenden Planungen wurden ca. 1.800 Baugrundsondierungen vorgenommen. Die Erkenntnisse aus den Baugrundsondierungen dienen gerade auch einem wirksamen Erschütterungsschutz im Zuge des Ausbaus der Strecke. In diesem Zusammenhang sollte dem Projekt S4 nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass teilweise nicht S-Bahn-Gleise neu gebaut werden, sondern Fern- und Güterbahngleise. Vollständig neu gebaute Gleise werden nach dem neuesten Stand der Technik gebaut. Man darf davon ausgehen, dass hier dem Erschütterungsschutz eine sehr viel höhere Bedeutung beigemessen wird, als dies beim ursprünglichen Bau der Strecke und späteren Grundinstandsetzungen der Fall war. Dies kommt also den Anwohnern zugute.

12. Der Bau der S4 soll nach jetzigem Stand 915 Millionen Euro (November 2015) kosten. Beinhalten diese Kosten auch den Nutzen für den Güterverkehr?

Die vorhandene Strecke Hamburg – Lübeck wird nach dem Bau der parallel verlaufenden S-Bahn-Strecke bis Ahrensburg denselben Ausbauzustand haben, wie heute. Gleichwohl werden Kosten nicht nur durch den Bau der S-Bahn-Gleise ausgelöst, sondern ein relevanter Teil der Kosten ist auch dem Güter- und Fernverkehr zuzurechnen, die in der Gesamtsumme von 915 Mio. Euro enthalten sind.

Im Zuge des Projekts S4 soll z.B. die Verbindungskurve zwischen der Güterungehungsbahn und der Lübecker Bahn zweigleisig ausgebaut werden. Diese Kurve dient fast ausschließlich dem Güterverkehr. Im Gegenzug kann dann aber auf das derzeit vorhandene separate Gütergleis in Marienthal zwischen Hammer Straße und Güterbahnhof Wandsbek verzichtet werden, weil die Verbindungskurve direkt in die Lübecker Bahn eingefädelt wird und nicht erst hinter dem Güterbahnhof Wandsbek.

13. Und wenn man einfach alles so lässt, wie es ist?

Tja, dann wäre auf der Strecke Hamburg-Lübeck trotzdem genug Platz für zusätzliche Güterzüge, aber die RB81 könnte trotzdem nicht häufiger fahren. Einem Gutachten aus dem Jahre 2009 zufolge (http://www.nahverkehrhamburg.de/dokumente/hamburg/db/hauptbahnhof/Gutachten_Schienenknoten_Hamburg_Schlussbericht.pdf) würde die vorhandene Infrastruktur schon heute die zusätzlich erwarteten Güterzüge aufnehmen können. Der limitierende Faktor für mehr Personenverkehr auf der Strecke Hamburg-Lübeck ist nämlich nicht in erster Linie die Strecke, sondern der Kapazitätsengpass im Hamburger Hauptbahnhof. Auf der zweigleisigen Bestandsstrecke ist also schon jetzt Platz für mehr Züge, aber nicht für mehr Personenzüge (weil der Hamburger Hauptbahnhof am Limit ist), sondern nur für mehr Güterzüge (weil diese über die Güterumgehungsbahn am Hauptbahnhof vorbeifahren). Von diesem Standpunkt aus betrachtet braucht der Güterverkehr die S4 also gar nicht. Trotzdem profitiert der Güterverkehr natürlich davon, wenn die S4 gebaut wird: Denn durch die Verlagerung des langsamen Nahverkehrs auf eigene Gleise werden tagsüber Kapazitäten für Güterzüge frei, die anderenfalls möglicherweise in der Nacht fahren würden.